25.11.2015 Die Bombenwarnung und die Lehrer, die sie statt der draußen wartenden Hunde suchen sollten
Es gab keine Bombe.
Stattdessen war die Bombe in mir explodiert. Hatte mich in Stücke zerrissen.
Ich beschreibe diesen Moment in Geena und der Mückenschiss.
Von da ab betrat ich bis zum
25.11.2019 die Spirale abwärts, tief in mich hinein. Die Ängste wurden größer, die bisherige Sicherheit weniger. Der einzig sichere Ort schien mir der Tod zu sein, und so saß ich für Jahre "unter seinem Mantel". Auf der Schwelle.
Nicht lebendig, nicht tot.
Kennst du das?
Kennst du das, wenn du ein Stück Fleisch im Kühlschrank vergessen hast und es beginnt zu stinken?
So war das. Ich spürte körperlich, dass mein SELBST verfaulte. Und doch war ich wie gelähmt. Konnte die steile Fahrt abwärts nicht aufhalten - zumindest nicht mit den Tools, die ich auf meinem Weg zur Leistungsoptimierung bisher gelernt hatte.
Bis absolut nichts mehr übrig war. Außer dieser gigantischen Wüste.
Am 25.11.2019 war ich am absoluten Tiefpunkt, dem point of no return.
Warum? Weil da nichts mehr war. Ich brach zusammen, ging in die Klinik und lernte neue Tools.
Ich begriff: irgendetwas war kaputt gegangen - und ich wollte, dass es wieder funktioniert. Dass ich funktionierte.
Deswegen auch am 25.11.2020 der nächste Zusammenbruch. Und wieder Klinik.
Pünktlich zum 25.11.2021 kam die nächste Welle. Der Amtsarzt wollte wissen, wie es mir geht - und plötzlich war ich wieder drin. Wieder mitten drin in diesem gigantischen ALLES, das über mir unkontrolliert hereinbrach.
Wieder schwarz auf weiß das dokumentierte Scheitern. Wieder alle Symptome von x bis y zusammengepfercht auf einem Blatt, in einem Moment. Durchtauchen, sich erinnern müssen. Und endlich auch die Anerkennung der Diagnose PTBS und die Frühpension - war das jetzt Aufatmen?
Am 25.11.2022 die erneute Überprüfung durch den Amtsarzt. Und dabei hatte doch so gut mitgespielt. Ich hatte doch so gut pariert ("parieren" im Fechtkampf… , "parieren" aber auch umgangssprachlich für gehorchen). Ich verfiel in Starre. Nichts ging mehr.
Ehrlich? Die Anerkennung eines PTBS ist in Deutschland ein sich selbst zerstörender Mechanismus. Nicht nur, dass die Dienst- oder Berufsunfallanzeige nach fünf Jahren nicht mehr anerkannt wird, obwohl die Symptome einer PTBS zwar deutlich erkennbar, aber eben ungern diagnostiziert werden - was in unserem "das muss aber doch funktionieren"-Wahn oft eine jahrelange Odyssee mit sich bringt. Auch die jährliche Bombardierung mit dem dazugehörigen Eintunken in die Traumasituation und ihre Begleitumstände machen Heilung fast unmöglich.
Und dennoch. Acht Jahre, zwei Klinikaufenthalte und viele Therapiesitzungen später.
25.11.2023 heute:
Vergangene Woche habe ich beschlossen, Samen zu sähen. Nur zwei. Und das, obwohl ich keinen grünen Daumen habe. Ich weiß also nicht, ob das was wird. Ich gieße den dunklen Torf regelmäßig und spiele Musik mit Pflanzenfrequenzen. Das tut mir auch gut.
Von Montag, 20.11. bis Freitag Nacht bleibt es unbewegt. Nichts.
Am 25.11., dem Tag der self-fullfilling-prophecy, dem Tag des Traumas, des fortwährenden Todes, stehe ich auf und sehe:
Die beiden von mir gesäten Samen sind geschlüpft. Vier Tage lang haben sie sich durch die dunkle Erde gekämpft und rekeln sich jetzt dem Licht entgegen (übrigens 1,5 cm von 8-20 Uhr!!!). Was für eine Freude!
Und heute sonst noch? Briefe oder andere Katastrophen?
Nein. Heute ist nichts passiert.
Die Depression ist da - und ich gebe ihr die Zeit, die sie braucht.
Ich habe wenigstens ein kleines bisschen verstanden, dass es darum geht, mir zu erlauben, da zu sein.
Die Starre ist da - und auch ihr gebe ich Raum.
Ich habe verstanden, dass es mir besser geht, wenn ich, ganz körperlich, in die Bewegung gehe. Ich laufe mit ihr auf dem Crosstrainer, dessen gegensätzliche Bewegungen von Beinen und Armen ich als ein super SELF-EMDR lieben gelernt habe.
Die Alexithymie ist da - und auch das ist okay.
Ich habe verstanden, dass in der Zeit, in der meine Gefühle schweigen, meine Seele am Urwasser auftankt und bald gestärkt wieder da sein wird.
Zum ersten Mal seit dem 25.11.2015 bemerke ich: Ich habe überlebt.
Und ich bin zum ersten Mal dankbar dafür.
Zum ersten Mal bin ich in der Lage, zurück zu blicken.
Zu erkennen, was meine Seele, mein Körper, mein Hirn in den vergangenen acht Jahren eigentlich geleistet haben! Was ich geleistet habe.
Ich war ganz unten.
Ich habe dem Tod in all seinen Facetten mehr als einmal ins Auge geblickt. Ich habe ihm standgehalten. Ich lebe.
Und wie dieser kleine Samen, dieses Geschenk des Himmels, habe ich mich zurück ans Licht gekämpft!
Dieser kleine Sämling wird das Sinnbild für meinen zweiten Point of no return. Meinem Tag des Lebens.
So, wie ich ihm von nun an all meine Liebe und Fürsorge geben will, damit er in seiner Zeit wächst und Früchte trägt, so will auch ich mir all die Liebe und Fürsorge geben, die ich brauche, um zu wachsen, zu leben und eines Tages Früchte zu tragen.
Und ich wünsche dir und mir den Mut dazu.
Ich möchte dir Mut machen auf deinem Weg durch die PTBS, egal ob diagnostiziert oder nicht. Deswegen schreibe ich meine Geschichte(n). Niemand ist dazu verdammt, für immer unter dem Mantel des Todes zu sitzen.
Der Weg, der mich zurück ins Leben geführt hat, ist die uralte Struktur der Heldinnenreise. Deswegen werde ich nicht müde, von ihr zu erzählen. Zum Beispiel in meiner Version von Dornröschen, der Frau, die sich erlaubt, den Weg des Seins zu gehen.
Möchtest du sie hören? Dann melde dich zum Muhsletter an und du bekommst den Link zum einzig wahren Dornröschen.